Ich blättere durch das Freizeitangebot des Hostels Iguana. Bei den nicht-touristischen Aktivitäten finde ich einen Kontakt, um eine Temazcal-Zeremonie selbst zu erleben. Ich bin interessiert und lese mich rein in die Beschreibung:
Ein Temazcal ist eine altertümlich-traditionelle, medizinisch-spirituelle Dampfbad-Zeremonie der indigenen Mesoamerikaner. Es soll reinigend und entgiftend sein. Der Text behauptet gar, es sei wie eine Wiedergeburt. Begleitet würde das Ganze durch Trommeln und Gesänge, um zu Meditieren. Zuvor solle man Opfergaben bringen – Obst beispielsweise und eine Spende von umgerechnet und empfohlen 5,50 Euro machen.
Das klingt nach etwas, dass ich erfahren will! Simon ist auch schnell davon begeistert. Also frage ich den hilfsbereiten Herbergsvater Rudi, ob er vielleicht noch ein paar Reisende wüsste, die interessiert sein könnten. Denn traditionell mache man laut Beschreibung ein Temazcal in einer Gruppe. Unsere neuen Freunde aus England sind auch gleich dabei.
Schließlich sind wir 9 Reisende aus aller Herren Länder, die ihre Neugierde nach dieser Erfahrung stillen wollen und das Abenteuer „neues Leben“ anstreben :-) Wir starten den Weg in die Berge zum Temazcal mit einem Colectivo nach San Felipe. Der Fahrer fährt uns sogar noch den gesamten Berg hoch nach Huitepec. Nach zwanzig Minuten Fahrt kommen wir bei Bettina und Raffael an. Unschwer zu finden, denn der Rauch des Feuers liegt in der Luft, der Nebel weist uns den Weg.
Als wir ankommen, bereitet Raffael gerade die heißen Steine vor. Er erklärt uns, dass diese später in 4 Schwüngen glühend in das Zelt gebracht werden. Das Zelt ist klein und niedrig, die Stäbe aus Holzbögen, verkleidet von Lumpen. Der Boden ist matschig und von Kiefernadeln bedeckt.
Wir sind gespannt und bringen zunächst einmal unsere Opfergaben zum vorgesehenen Tisch neben dem Feuer. Wir lernen, dass die Gaben zunächst geweiht werden und über die Zeremonie am Opferplatz verweilen. Weshalb? – Damit böse Geister außerhalb des Zeltes bleiben und befriedigt sind. Später dürften wir die Gaben miteinander teilen und essen. Jeweils ein Stück werfe man symbolisch ins Feuer.
Dann ist es auch schon Zeit zum Umziehen. Da es heiß, feucht und matschig wird im Zelt, haben wir alle Badesachen dabei. Wir stellen uns in einem Kreis um das Feuer, während Raffael erklärt. Er wird uns nun nacheinander in Zelt holen. Bei Eintritt müssen wir um Erlaubnis bitten. Er wird dann das Zelt schließen. Es würde 4 Mal geöffnet, um heiße Steine nachzulegen. Die 4 Mal stehen für 4 Tore zur Welt, 4 Ebenen, 4 Himmelsrichtungen. Es sei hervorragend, dass wir genau jetzt das Temazcal machen würden. Denn wir seien kurz vor den dias de los muertos. In dieser Zeit sei das Tor zur spirituellen Welt besonders weit offen.
Wir drehen uns gemeinsam um das Feuer, während wir diese 4 Richtungen mit geschlossenen Augen anbeten. Die Steine, die vor unseren Füßen glühen, seien sehr alte und weise Steine. Man nenne sie Großmütter. Sie hätten große Heilungskräfte inne. Das Zelt symbolisiere das innere der Erde, gleichzusetzen mit der Gebärmutter. Daher sei es darin auch heiß, matschig und feucht. Wir würden spirituell neu geboren werden, uns im Zelt auf einer anderen Ebene begegnen. Geist und Körper gänzlich reinigen. Bevor wir nun gleich losgingen, sollten wir uns einen Wunsch parat halten. Etwas, was wir loslassen wollen.
Der Beginn seiner Trommel unterbricht unsere Gedanken. Es ist nun Zeit in das Zelt zu gehen. Jeder von uns wird mit einem „A-HO-U!“ begrüßt. Bis auf den Eingangsbereich sind alle Laken heruntergelassen. Als wir alle im Zelt sitzen – zu der Zeit noch auf richtig kalten Matschboden – und versuchen eine nicht-pieksende Position zu finden (Kiefernadeln!), wird die erste Fuhre glühend heißer Steine in die Mitte des Zeltes gelegt. Raffael erklärt uns, dass die Zeremonie rund 45 Minuten andauern wird und wir ihm Bescheid geben sollen, wenn es uns zu viel würde. Während dessen bestreicht er die Steine mit wohlriechenden Fetten, Ölen und Kräutern. Nachdem die „Großmütter“ in unserer Mitte liegen, wird die „erste Türe“ geschlossen.
Von jetzt an sehen wir nur noch das Rot in unserer Mitte glühen. Raffael beginnt mit einem durchdringenden Gesang und gießt stetig Wasserkellen über die Steine, die das Zelt nach und nach in ein Dampfbad verwandeln. Er weist uns an, tiefe Atemzüge zu machen. Dabei wird das Trommeln dominanter, eine Rassel kommt hinzu und die Gerüche entfalten sich bis in unsere Lungenflügel. Immer wieder stößt er auf spanisch und englisch heraus: „For all our relations! A-HO-U!“ – Für all unsere Beziehungen. Minuten verstreichen. Wir atmen, wir beginnen zu schwitzen.
Dann appelliert er an uns, ein Gebet vor der Gemeinschaft vorzutragen, welches diese durch ihr A-HO-U bekräftigt. Ein etwas befremdlicher Part. Simon sitzt neben Raffael und ist aufgefordert zu beginnen. Was er zunächst im Stillen tut, dann jedoch gebeten wird, es laut vorzutragen. Ich konnte ihn gut verstehen. Ich bete gewöhnlich auch nicht laut. Es ist etwas Intimes. Auf der anderen Seite: Wir beteten beide deutsch. Außer uns hat das ohnehin keiner verstanden. Alle anderen taten es uns gleich: Sie beteten einfach in ihrer Landessprache. Das war wunderschön.
Die übrigen drei „Tore“ verliefen ähnlich. Wir beteten jedoch nicht mehr laut, sondern sangen in Maya-Urlauten in festen Rhythmen zu Trommel und Rassel. Man hätte sich vielleicht in Trance singen können. Dann wäre man sich womöglich auf einer anderen Ebene begegnet. Simon und ich – oder vielmehr auch die gesamte Gruppe, wie wir später im Austausch erfahren – haben nur geschwitzt :-) Wir gehen wieder nacheinander aus dem Zelt und werden im neuen Leben begrüßt. Dann stellen wir uns gemeinsam um das Feuer. Wir danken. Dann opfern wir jeweils ein Stückchen Obst mit einem „A-HO-U!“ und beginnen hungrig unser Obst zu verschlingen.
Wir haben diese Erfahrung sehr genossen. Doch abgesehen davon, dass wir schmutzig waren, wie nach einem Schlammbad und Lauten gefolgt sind, die wir zuvor nicht kannten, FÜHLTE es sich nicht anders an, als ein intensives Dampfbad. GELERNT haben wir Vieles. Die Temazcal-Zeremonie ist etwas Urtraditionelles und eine besondere Kulturerfahrung, die wir weiter empfehlen. Wir mögen das Sinnbild, welches durch ein Temazcal symbolisiert wird. Im Inneren der Erde oder gar wieder in der Gebärmutter zu sein. Und es ist ein gesundes Ritual, dass definitiv Deine Muskulatur und Atemwege entspannt. Doch wer auf eine Reinkarnation hofft, benötigt vielleicht mehr Übung als wir oder andere Kräuter, um nicht enttäuscht zu sein :-)
Chamula soll laut Petra und Isabel schön sein. Insbesondere die Kirche des kleinen Ortes. Also machen wir uns mit den Colectivos auf. Bereits auf dem Weg bestaunen wir, wie Frauen lebendige Hühner am Arm tragen. Die gefiederten Freunde hängen völlig fertig und Kopfüber daran herab. Wir lernen später warum: Die Einwohner Chamulas, sog. Tzotzil, sind traditionelle Verfechter ihrer Kultur. Dazu zählt natürlich auch ihre Religion mit diversen Riten. Darunter ein Ritual, welches uns die „Hängehühner“ erklärt. Sie werden von Schamanen zur Heilung von Krankheiten benötigt. Deren Vorstellung nach entsteht Krankheit dadurch, dass es sich ein Dämon in uns bequem gemacht hat. Die Schamanen berülpsen (!) die Dämonen – also die kranke Person – und halten das lebendige Huhn bereit. Nach Vorstellung der Tzotzil, geht der Dämon darauf über. Dann wird das Dämon gewordene Huhn getötet. Dieses Ritual gehört zum Alltag in Chamula.
Im Ort angekommen, besorgen wir uns die Eintrittskarten zur Kirche (etwa 1 Euro), um diese zu passieren. Innen dürfen wir nicht fotografieren. Als wir sie zeichnen wollen, werden wir darauf hingewiesen, dass auch dies untersagt ist. Nicht weiter schlimm, denn sie war so markant, dass uns die Beschreibung ein Leichtes ist.
Ein langer, sehr lieblich anmutender Kirchenraum. Links und rechts stehen lange Tischbänke. Nebeneinander aufgereiht befinden sich darauf vor bis zur Spitze Schutzpatronen. Der Innenraum lädt zum Knien auf grünem Boden ein: Frei von Bänken, voll von wohlriechenden Kiefernadeln. Ein Lichtermeer aus Kerzen, welche viele der Ureinwohner im gemeinsamen Gebet mit der Familie vor ihrem Schutzpatron der Wahl anzünden, wärmt die Kirchenhalle und gibt ihr eine wohnliche Atmosphäre. Wir fühlen uns sehr enspannt und heimisch an diesem Ort und platzieren ebenfalls kniend unsere Gebete und Kerzen.
Außerhalb der Kirche fühlen wir uns nicht mehr ganz so wohl. Zumindest nicht aufs Erste. Dort finden wir einen großen Markt vor, der ebenso traditionell wie touristisch ist. Eine eigenartige Mischung! Einerseits sind sie sehr für sich, die Ureinwohner, in ihrer traditionellen, gänzlich eigen produzierten Kleidung. Dann aber auch „aggressiv“, um an uns als Touristen etwas ihrer Waren zu verkaufen. Wir kommen uns ein wenig vor wie ein Eindringling, der um des Geldes Willens geduldet wird. Als wir erklären, dass wir nichts kaufen wollen, sind die Damen nicht besonders erfreut. Doch wir gewinnen milde Gesichtszüge, als wir unsere Mandarinen mit ihnen teilen.
Unser Lieblingsobst zum Freundschaft schließen :-)
Unser Roadtrip soll in Chizen Itza enden. Wir fahren der Sonne entgegen auf endlosen Straßen mit vielen Tarantula Spinnen. Schon das versetzte uns ins Staunen. Der gesamte Tag war zum in die Hände klatschen! Wortwörtlich. Denn die Ruinenarchitektur dieses Weltwunders ist so angelegt, dass das Klatschen am Grund vor dem Eingang widerhallt.
Um genau zu sein, Chizen Itza ist eines der neuen 7 Weltwunder und macht seinem Titel alle Ehre. Wir sind gänzlich im Bann dieses Ortes.
Warum? Weil wir zufällig entdecken, dass die Menschen dort zum Teil tatsächlich noch Maya sprechen.
Es bewegt uns alle, selbst Alejandro.
Das sind die kleinen Schätze, die wir suchen, für die wir reisen. Nicht nur ein Wunder besuchen. Sondern ein kleines darin entdecken. Oder wer würde an einem touristischen Ort etwas Ursprüngliches, etwas Authentisches erwarten? Wir meinen damit, es gehörte zu keiner Show. Der gute Mann wurde dafür weder verkleidet noch bezahlt. Sondern es ergab sich in einem freundschaftlichen Smalltalk zwischen Alejandro und diesem Maya-Kalender-Verkäufer.