Mit dem Mi|ni|van von Kra|bi nach Geor|ge|town [:on the way]

Eine zu zehnt gestartete, wilde Minivan Tour liefert uns von Krabi (Thailand) über die Grenze. Und fährt nur noch zu neunt weiter nach Penang (Malaysia) ein. Was wir neben dem Glück, Deutscher Staatsbürger zu sein, noch so erlebt haben, füllt nun die Schreibfeder mit Zeilen.

Wir buchen in unserer Lodge – im Nirgendwo von Krabis Dschungel – ein Minivan-Busticket nach Georgetown. Denn unser Thai-Visum läuft aus. Georgetown ist ein Teil der malaysischen Insel Penang. Es soll wohl recht nah sein. Vielleicht 6 Fahrtstunden. Wir haben keine Idee, was es bietet. Ich schnappe nur das Stichwort Weltkulturerbe von Simon auf. Das klingt gut. Das Übrige wird sich schon fügen.

Am nächsten Morgen um 7 Uhr geht es los. Wir werden als letzte beiden abgeholt und ganz hinten auf den noch freien Sitzen platziert. Sichtlich unerfreut, dass wir beide einen Backpack haben, haut der Fahrer die Schiebetür zu. Guten Morgen, es kann losgehen!

Der Transport fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt und ist für umgerechnet 7 Euro ein echtes Adrenalin-Kick-Schnäppchen. Ein paar – nennen wir es einmal – „Beinah-Auffahrunfälle“ später kommen wir nahe der Grenze an und wechseln nochmal den Minivan mit einer neuen Gruppe.

Da jeder Dropout und jede Grenze ein wenig anders aufgebaut ist und etwas anders funktioniert, die Fahrer meistens gar kein oder besseren falls schlechtes Englisch sprechen, haben wir unsere Mitfahrer stets im Blick. In der Hoffnung, dass diese schon einmal dort waren oder doch irgendwoher Informationen bekommen haben.

Die Gruppe der zweiten Minivanfahrt (ach ja, wir wissen vorher natürlich nicht, dass wir wechseln müssen) ist heute sehr markant. Wir sitzen wieder ganz hinten und haben damit alle Mitfahrer im Blick.

Am auffälligsten sind zwei Dänen. Einer davon, ungefähr 1,80 m groß, längeres und vermutlich mit den Jahren überschaubarer gewordenes blond-graues Haar mit hellen Augenpaaren. Schlank bis dünn. Sonnenbrand gebräunte Haut, die sichtbar rauh ist. Wahrscheinlich dank konsequentem Verzicht auf Sonnencreme. Diverse Zahnlücken, die auf zu viel Zigaretten mit Bier und zu wenig Zahnpasta schließen lassen. Augenringe von Eisen- und Schlafmangel. Silberketten, Armbänder und Piercings, die sein Gewicht auf der Wage wohl um zwei Kilogramm erhöhen. Zerrissene, tief hängende Jeans und UV-Licht gebleichtes T-Shirt. Brummende Raucherstimme. Und am markantesten: Schmerzensbrandmale heißer Nadeln an jeglich sichtbarer (und vermutlich auch unsichtbarer) Epidermis. Tattoos, die ihren Träger bitten, die Geschichte dahinter zu erzählen. Sein Reisegefährte: Die 25-jährige Young Version. Noch ohne so viel – nennen wir es einmal – Patina. Vielleicht verwandt, vielleicht aber auch einfach nur sich ähnelnd.

Dann ist da noch eine ca. 25-Jährige. Sie reist mit kleinem Rucksack und daran befestigtem Skateboard.

Vorne sitzen noch 4 weitere Fahrgäste. Es sind offensichtlich zwei Paare arabisch anmutender Herkunft. Einmal um die 35 Jahre alt, einmal um die 60 Jahre alt. Die Herren tragen jeweils einen Turban und sind ganz weiß gekleidet. Goldringe zieren die dunklen Hände. Der ältere hat einen langen Bart und hat schon einen kleinen Buckel. Beim jüngeren scheint physisch noch alles Instand zu sein. Die Dame, die sich an den Buckelmann schmiegen darf, ist ganz schwarz und mit Kopftuch gekleidet. Es blitzen nur ihre Augenpaare durch. Die Jüngere ist in einem hübschen Sarong mit Glitzerkleber auf der Stirn unterwegs.

Unsere Sitznachbarin ist eine moderne Bangladeshi in weissen T-Shirt, Jeans und Sonnenbrille, die ihre Braunbäraugenpaare verstecken. Sie ist durchgängig etwas unruhig auf der Fahrt.

Nach der gefühlt tausendsten Runde „Gruppe einprägen“ und diversen Smalltalks kommen wir am „Checkout-Point“ Thailand an.

Zu zehnt stellen wir uns in eine der Wartereihen zu den Grenzpostenhäuschen, die einen ausstempeln. Die meisten unserer Mitfahrer wollen sich eigentlich nicht ausstempeln. Sie wollen einfach einen sogenannten Visarun machen. Damit können sie ihren Aufenthalt in Thailand verlängern. Wir sind offenbar die einzigen, die Malaysia bereisen werden.

Da bis auf uns beide alle ihr Visum überzogen haben und diese zur Nachzahlstelle zitiert werden, müssen wir den Minivan, der natürlich nicht mehr dort steht, wo er uns abgesetzt hat, alleine finden.

Fünf Suchminuten später finden wir ihn tatsächlich und hüpfen als erstes wieder auf unsere Plätze. Da der Fahrer lieber qualmt anstelle Ausschau nach den anderen acht Mitfahrern zu halten und nicht erklärte, wo man ihn danach fände, werden wir aktiv.

Die arabisch anmutenden Fahrgäste finden den Minivan ebenfalls eigenständig. Doch dann verstreichen einige Minuten und der Fahrer wird unruhig. Ich steige also aus und scanne die umher irrende Menge auf unsere fehlenden vier Mitfahrer ab. In drei Schwüngen finde ich diese, winke und rufe sie zum Minivan. Es kann also gestartet werden zur malaysischen Grenze.

Bangladeshi sagt, dass sie sehr hungrig ist. Wir bieten ihr etwas von unserem Proviant an. Doch sie sagt, sie sei zu aufgeregt. Wenn wir ausstiegen, dann nähme sie gerne etwas an. Dann fragt sie, ob wir schon in Malaysia sind. Denn sie lese die ersten Begrüßungsschilder. Wir erklären ihr, dass wir gerade die ersten Meter auf malaysischen Straßen fahren. „Thank God!“, stößt es aus ihr hervor. Wir freuen uns mit ihr, denn diese Euphorie war ansteckend. Wir erklären ihr weiter, dass wir nun noch offiziell in Malaysia an der gleich kommenden Grenze „einchecken“ werden.

Und schon halten wir auch wieder an und watscheln gemeinsam in eine der Wartereihen für unser Visa on arrival. Ein paar Stempelstoßlaute später haben Simon und ich ein kostenloses 90- Tage Malaysia-Visum im Pass. Die Dänen waren dieses Mal vor uns fertig und haben den Bus erspäht. Wir platzieren uns auch wieder. Die Skateboard-Lady und die Araber kommen ebenfalls schneller als beim Checkout wieder am Minivan an. Mit derem Wiederhinsetzen drückt der Fahrer seine Zigarette aus und will zugleich losfahren.

„Stopp!“, tönt es unisono aus uns und den Dänen hervor. „The Lady, who was sitting next to us is missing“, erklären wir. Der Fahrer zeigt sich unbeeindruckt und zündet das Gas. Als wir weiter ansetzen wollen, durchdringt bereits die markante Raucherstimme des älteren Dänen den Minivan. „Stopp! You can not start to drive on without her! We are not okay with it.“ Das erfüllte den Raum für einen guten Moment lang. Simon und ich schauen uns an und sind stolz darauf, diesen Dänen an Board zu haben.

Der Fahrer, dessen Stimme uns bis dahin unbekannt war, belächelt Mr. Tattoo, entgegnet kurz „She is from Bangladesh, right? People from Bangladesh can not go anywhere!“ und zündet wieder das Gas. „Stopp! I will go out and look for her and you have to wait. Nobody would like to be left like this!“ fährt er den Fahrer an, richtet sich dabei schon von seinem Platz auf und erhält Zustimmung von allen Mitfahrern. Genervt hält der Fahrer schließlich an und der Däne macht sich auf den Weg zurück zum Grenzposten. Starker Einsatz! Es ist ein gutes Gefühl, jemanden mit Courage dabei zu haben.

Einige Minuten verstreichen.

Dann kommt der Däne zurück gejoggt. Er unterrichtet uns mit betroffenem Gesicht: „She is in trouble, can not get in. They´ll send her back to Bangladesh as soon as possible. She is afraid, but we can´t do anything for her.“

Da steht sie nun im Raum. Die Wahrheit. Die Stille. Das Mitgefühl. Die Machtlosigkeit. Die Wut. Alles vermengt sich. Nach einer Weile breche ich das Schweigen und sage zu Simon: „Hoffen wir das Beste für sie und seien wir dankbar, Deutsche zu sein.“

Wir reisen also nur noch zu neunt weiter. Der Platz neben uns ist leer.

Noch nie war es uns – wortwörtlich – so vor Augen geführt, wie wichtig Nationalität sein kann. Welch hohes Gut es ist, sich Reisen leisten zu können, das haben wir uns schon oft gedacht. Aber überhaupt die Möglichkeit zu haben. Seitens der Herkunft. Der Formalitäten. Darüber haben wir noch nie nachgedacht. Es war stets einfach und möglich…

Wir haben es nicht in der Hand, wo wir geboren werden, welche Nationalität wir haben, wie sich unser Land gegenüber anderen verhält. Das Leben fragt uns nicht. Wir werden einfach in die Welt geboren. Und obgleich es eine einzige Welt ist, die selbe Luft, die jeder Mensch täglich ein-und ausatmet, ist es von solch unfassbarer Bedeutung, wo der Schoß unserer Mutter in der Geburtsstunde auf lag. Uns brennt sich dieses Bewusstsein fest, in diesen Minuten.

„Wir reisen nur noch zu neunt weiter“, geht es uns durch den Kopf. Und wir sind dankbar, Deutsche zu sein. Und wir sind dankbar, es uns leisten zu können. Und wir sind dankbar einen Dänen unter uns zu haben, mit Courage. Welche wir ihm – offen zugestanden – auf den ersten Blick nicht zugetraut hätten. Danke, liebes Reisen, liebes Leben, für diese Lehrstunde.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. hi simon, habe gestern von deinen eltern nach dem spiel gegen lauterstein erfahren wie du zu erreichen bist.mit großem interesse habe ich heute eure bilder und geschriebenes „reingezogen“ und festgestellt wie ihre beide alles genießt was ihr zu sehen bekommt und erlebt.es freut mich,dass ihr alles so auf die reihe bekommt.bleibt gesund und passt auf euch auf und weiterhin viel spaß auf eurer tour.werde von jetzt an eure weiteren ziele verfolgen.viele liebe grüße, tassilo

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