Mit dem Nacht|zug von Bei|jing West nach Xi|an [: on the way]

Hard Seat – die billigste Fahrtklasse bei Zugreisen durch China – sei Name mit Programm, schmunzeln die Chinesen Henry und Marcel auf unsere Frage, wo der Preis- und Komfortunterschied bei den verschiedenen Klassen chinesischer Züge sei.
Sie raten uns davon ab, hier unser Budget zu schonen. Selbst sie als chinesische Studenten zahlen lieber etwas mehr für sogenannte Hard Sleeper. Am ehesten sollten wir Soft Sleeper wählen. Die teuerste Klasse.
Eine 12- stündige Zugfahrt von Beijing West nach Xian mit dem Nachtzug ist der Diskussionsgegenstand. Denn wir wollen als nächstes die Ausgrabungen der Terracotta Armee bestaunen.

Simon und ich sind uns sicher: Sie unterschätzen unsere Strapazierfähigkeit. Wir sind nicht aus Zucker!

Was genau hinter den Klassen stecke, fragen wir Marcel. Er versichert uns, dass wirklich nur das Fußvolk Hard Seats wähle: Arme Tibeter beispielsweise. Oder in Ausnahmefällen Chinesen, die wirklich kein anderes Ticket infolge von Ausbuchung bekommen. Doch auch in diesem Fall überlege man bei gesundem Menschenverstand, ein verfügbares Kontingent in der zweiten oder ersten Klasse abzuwarten….

So viel zur Vorabinformation. Jetzt kommen die Preise ins Spiel. Marcel geht dafür auf die Website der chinesischen Bahn. Von 14 € (Hard Seat) über 25-29 € (Hard Sleeper) bis hin zu 30-35€ (Soft Sleeper) könnte ein Ticket jeweils kosten. Die Spannen ergeben sich aus der Stockwerkwahl des Liegeplatzes: Unten, mitte, oben.

Das unterste Bett ist am teuersten. Man kann dort noch aufrecht sitzen und hat ein Tischchen. Mitte und oben sind billiger. Denn aufrechtes Sitzen ist nicht mehr möglich. Man muss klettern um in sein Bett zu kommen. Toilettenmöglichkeit (klassisch-chinesische Hockklos) habe es überall, heißes Wasser ebenso.

Erste Feststellung: Kein Vergleich zu den Preisen bei der Deutschen Bahn. Zugreisen in China scheint wesentlich günstiger zu sein als im Heimatland. Wie entscheiden wir nun? Wir stehen am Anfang unserer Reise und bisher war diese wirklich komfortabel und sehr günstig. Wir sind in einer sehr guten Verfassung. Teuer ist das Ganze nach unserem Verständnis in keiner Fahrtklasse… Wir könnten uns alles gut leisten.

Eine Mischung aus Wahnwitz und Abenteuerlust ist unserem Grinsen zu entnehmen. Wir bitten unsere chinesischen Freunde darum, mit uns die Hard Seat Tickets zu buchen. Wir wollen einen authentischen Einblick, es selbst herausfinden, was hinter den Klassen steht. Der Plan: Jede Klasse einmal ausprobieren.

Erster Unterschied zu Deutschland: Online ist das kurzfristige Ticket buchen (in unserem Fall: 2 Tage vor gewünschtem Fahrtantritt) nicht möglich.

Ergo: Dafür muss man mit seinem Reisepass direkt vor Ort zu einer Verkaufsstelle der chinesischen Bahn. Wir machen uns gemeinsam auf den Weg und dank der Hilfe von unseren chinesischen Freunden geht die Abwicklung ganz flink.

Zwei Tage später: Unser Gepäck inklusive Instantsuppen steht bereit und wir sind voller Vorfreude. Zwei Stunden vor Fahrtantritt sind wir am Bahnhof um uns zu orientieren. Der Bahnhof ist riesig. Doch Simon findet gleich alles auf Anhieb, sodass wir uns fast nur mit einem Wimpernschlag nach der ersten Kontrolle in der Wartehalle zum Zug befinden.

Menschenmengen mit großen Maissäcken. Knoblauch-absorbierende Körpergerüche. Chinesische Durchsagen. Zweitausend starrende Augenpaare. Umfassen unserer Hände. Ein Blick zueinander: „Okay, durchatmen, zusammen bleiben!“

Es befinden sich gut 1000 Menschen in der Wartehalle. Detaillierter gesagt: Asiaten. Wir sind die einzigen beiden Europäer und fühlen uns wie Neonleuchtstäbe mitten im Dunkel. Die Menschen wirken unruhig. Ein Teil drängelt, die meisten sitzen auf großen Maissäcken (warum denn das?!). Das Sprechen tausend Münder in fremden Zungen eint sich in einen hypnotisierenden Lautbrei. Wir fühlen uns im Fokus und damit Druck, Anspannung und einen schleichenden Anflug von Angst. Ich erinnere mich an die Beschreibung von Sabine Kueglers Bestseller „Dschungelkind“: Sie war im Dschungel, fernab von Zivilisation, aufgewachsen. Als sie das erste Mal am Berliner Hauptbahnhof stand überbesetzte sie das Gefühl von Anspannung der gestressten Berliner in das, was sie als Erlerntes kannte: Krieg. Diese Atmosphäre kannte sie als Kriegsstimmung. Sie hatte Todesangst. Sabine, heute verstehe ich Dich!

Die Maissack-Menschenmenge formiert sich nach und nach zu einer mehr oder minder erkennbaren Wartereihe zum Gleis. Und das bereits 2 Stunden bevor es losgeht. Warum? Jeder hat doch Platztickets. Oder? Vermutung: Vielleicht läuft das Ganze chaotisch und das Gebuchte zählt nicht…. Mh… Auch egal. Atmen. Das wäre das geringste Übel.

Irgendwann tauscht Simon mit seinem Rucksack die Rollen. Sein Rücken will die 20 kg nicht mehr tragen. Also reiht er sich zu den auf Maissäcken sitzenden Asiaten mit seinem Backpack ein. Ich will stehen und sehen. Den Überblick bewahren. Mir ist es hier nicht geheuer… Nach und nach magnetisiert unsere Anwesenheit das Gros der Augenpaare. Mehr und mehr Blicke treffen auf mich. Immer häufiger vermischen sich darunter Doppeldeutige. Auch ein Polizist beginnt zu zwinkern. Mir wird unwohl. Noch einhundertzwanzig Minuten. Ein-hun-dert-zwan-zig. Ich umgreife die Talismänner um meinen Hals. Ich atme schneller. Merke dies und übe bewusst, wieder einen langen gleichmäßigen Atem zu finden. Meine Yogastunden eilen zur Hilfe. Dann vermumme ich mich als weit als möglich. Simon versteht wortlos die Sprache meiner noch sichtbaren Augenschlitze. Wir hoffen das Beste. Einatmen – ich. Ausatmen – bin.

30 Minuten vor Abfahrt beginnt der Einlass zum Zug. Ich bin Tigris. Stark. Keiner kann mir was. Es geht alles schnell. Das Personal ist sehr gut geschult, strahlt Seriosität und Autorität aus. Entgegen der Vermutung, dass das Gedränge auch Chaos im Zug bedeutet, bekommen wir genau den gebuchten Platz. Im Zug entspannt sich auch das Gestarre. Gestik und Mimik der Menschen um uns wird freundlicher und vertrauenswürdiger. Einige verbale Kommunikationsversuche starten. Doch niemand spricht etwas Romanisches (immerhin hätte ich Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch oder Deutsch im Angebot). Nur chinesisch. Das müssen wir passen. Doch die Körpersprache ist friedlich. Daher glauben wir nun -expressis verbis – auch ein Auge zu tun zu können.

Ich sitze am Fenster, Simon schützend neben mir. Uns gegenüber ein junger Mann und eine Frau, dazwischen ein Tisch. Pünktlich auf die Sekunde verlässt der Zug Beijing West und rollt los Richtung Mitte dieses mächtigen Landes nach Xian.

Kontrollen, Verkauf von Instantsuppen und Hundefutter-ähnlich-riechender-Wurstpackungen bestimmen den Anfang der Fahrt. Dunkler werdende, ziehende Landschaft definieren den zweiten Teil. Und schließlich kommt der Einbruch der Nacht. Mit ihr werden die ersten Schlafversuche gestartet: Unterarme auf den Tisch und Stirn darauf gelehnt. Das entlastet das mittlerweile von Hard Seat spürbar gewordene Steißbein.

Positionswechsel. Denn der Holztisch gibt die Vibration von Zugrollen gegen Gleis über die Arme an den Kopf weiter.

Aufsitzen. Umschauen. Simon ist wachgeblieben. Er hat dabei das Geheimnis um die Maissäcke gelüftet. Sie dienen als Schlafunterlage für die Tibeter, die sich mittlerweile im Gang damit positioniert haben. Wir dachten, sie würden tatsächlich rohen Mais im Zug verkaufen. Herrje. Das Kopfkino!

An unserem ersten gemeinsamen Lachen spüren wir unsere Entspannung. Alles ist jetzt wieder gut. Und die Zugfahrt nur noch 9 Stunden lang. Das Pärchen schräg gegenüber lehnt sich gelöffelt gegen sein Fenster. Wir tun es ihm gleich. Eine gute Position. Wer braucht schon ein Schlafabteil!

Simon löst sich irgendwann aus der komfortablen Klammer. Er will unser Gepäck nicht zu lange unbeaufsichtigt lassen. Er entsinnt sich, dass er gelesen hat, es würde oft geklaut in der Nacht. Nun gut. Entspannung adieu again.

Nun versuche ich mein Glück, eine gute Position zu finden. Beine unter dem Tisch ausstrecken vielleicht? – Fehlanzeige. Zu eng, das geht auf Kosten des Gegenüber. Gerade sitzen und Kopf gegen das Fenster? Geht 5 Minuten gut, dann vibriert der Kopf und das Steißbein drückt wieder. Idee: Mal was essen. Dann werde ich bestimmt müde. Gegessen, etwas über unser Unbehagen in der Wartehalle gelacht, erneute Suche nach Schlaf meinerseits. Ich werde richtig kreativ und begebe mich in die von mir so getaufte „L-Lage“: Ich ziehe meine Schuhe aus, lege meinen Kopf in Simons‘ Schoß mit Blick gegen die Decke, Rücken und Po befinden sich stabil auf den Sitzen, meine Beine schmiegen sich parallel gegen das Fenster. Op-ti-mal! Schlafmaske an, Oropax rein, das Sandmännchen kann kommen.

Tatsächlich ist es wieder hell als ich das erste Mal aus dem 12ten Buchstaben des deutschen Alphabets aufwache. Ich unterhalte mich still mit mir selbst, wie ironisch das ist: Ich wache auf, da meine Beine und Füße eingeschlafen sind.

Daher geht es nun in eine normale Sitzhaltung, um das Blut wieder in meine Beine zu bringen. Jetzt bleibe ich wach und Simon kann eine Runde in meinen Armen schlafen. Ich genieße den Anblick der sich ständig ändernden Landschaft mit endlosen Weiten. Alle bedrohlichen Gedanken sind verschwunden.

Eine Stunde vor Ankunft sind wir beide wach und frühstücken Joghurt und Instantkaffee. Pünktlich treffen wir in Xian ein. Wir beobachten die noch in Beijing als Gefahr eingestufte Menschenmenge und freuen uns, dass wir unversehrt ankamen. Ziemlich fertig sind wir. Die Zugfahrt hat sich gedehnt, wie auch diese Beschreibung darüber!

Sie war eben nicht nur eine 12-stündige Fahrt. Sie war eine Reise durch uns: Von Ängsten und sich daraus ergebenden verzerrten Wahrnehmungen. Mündend in die Erkenntnis, dass sich Sprachbarrieren und Vorurteile drastisch auf das Sicherheitsgefühl auswirken können.

Resümee: Die Zugfahrt war sicher. Die vermeintlichen Gefahren waren bei Ankunft am Tag aufgelöst. Doch eins war real, das ließ uns unser Steißbein spüren: Die Holzsitze haben wirklich ihren Namen „Hard Seat“ verdient. Ein unbeschreiblich wertvolles Erlebnis. Aber definitiv im wahrsten Sinne des Wortes einmalig, solange wir es uns leisten können!

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ihr beiden Lieben,
    ich konnte gerade richtig in die Reisebeschreibung eintauchen!!!!!
    Wunderschoen und ehrlich :-)
    Habe mich so gefreut, dass du – liebe Manu – unsere pranayama Uebungen gleich am Bahnhof umgesetzt hast. :-)
    Lieber Simon, ich hoffe, Dir geht es besser und dass Manu dich gut gepflegt hat!

    Ganz liebe Gruesse und dickes Bussi aus dem Laendle
    Anne

  2. hallo ihr 2 omi sizt gerade neben mir und wir haben uns die bilder noch mal angeschaut..sie spricht….danke für die karte und ihr sollt aufpassen dass ihr gesund bleibt…ihr seid viel zu dünn soll ich schreiben ..essen ..aber dass richtige damit ihr nicht wieder krank werdet…jetzt scheint ei uns die sonne und der rasen kommt der baum biegt si ch vor kirschen…und sonst wird es immer schöner bei uns…bald kommen bilder…bis zum nächste mal tschüß und machts gut …eure omi ..ich liebe euch…so und ich schließe mich da natürlich an glg ma und claudi

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