Geor|ge|town [:city summaries]

Ein grünes Straßenschild mit weißen Lettern, etwas abgenutzt, trägt die Aufschrift »Love Lane«. Es ist das erste Indiz zum Versuch der Orientierung als wir in einer kleinen Seitenstraße halten und nun mehr mit unseren Rucksäcken am schmalen Gehsteig stehen. Wir haben keine Idee, wo wir uns gerade befinden. Keine Insider-Tipps, wie sonst. Kein Reiseführer, wie immer. Und leider auch keine Touristeninformation in Sichtweite, um einen Stadtplan zu erfragen.

Ein Blick um uns. Die Mitfahrer arabisch anmutender Herkunft (vgl. Artikel »Mit dem Minivan von Krabi nach Georgetown«) waren schneller weg als wir es hätten wahrnehmen können. Zumindest mit Rücksicht auf die Zeit, die man uns gnädiger Weise eingestehen müsste, um wieder an die Oberfläche des Gedankenmeers auftauchen zu können. Doch die Dänen und die Skaterin sind noch da. An die werden wir uns halten!
Ob sie schon eine Bleibe hätten für heute Nacht, fragen wir. Alle verneinen. Der Däne dreht sich und meint dann, wir stünden an der Kreuzung mit der Hauptstraße. Entlang jener gäbe es viele Hostels und Gästehäuser. Das klingt überzeugend. Gemeinsam nehmen wir die erste Verkehrshürde zu Fuß und finden uns auch schon direkt vor einem Gästehaus wieder.

Die Gastgeber, ein Mann um die 60 Jahre und eine Dame um die 50 Jahre, wirken ziemlich verratzt. Und ihr liebes Gästehaus nicht weniger. Zumindest lässt der verstaubte, leiernde Ventilator und Tische mit verklebten Abdrücken längst abgeräumter Gläser darauf schließen. Der Beurteilungsprozess wird durch das Angebot des Gastgebers unterbrochen: Ein privates Zimmer für 5 Euro. Geteiltes Bad. Gleicher Preis, auch wenn man das Zimmer zu zweit nehme. Internet sei gratis dabei.

Die drei Visarunner sind schon überzeugt für ihre Zwecknacht in Georgetown. Sie nehmen das Angebot zugleich an. Da Simon und ich vermutlich nicht nur eine Nacht auf malaiischen Boden verbringen werden, will ich die Zimmer erst einmal unter die Lupe nehmen.

Muffige Matratzen, womöglich gewaschene Laken – vielleicht vom Vorgänger nicht so sehr mit Gebrauchsspuren versehen, dass man hätte wechseln müssen – fensterlos-finster. 20 Zimmer teilen sich ein einziges 1 qm Bad, welches Toilette und Dusche vereint. Würde man darin ökologisch-ökonomisch sein Geschäft mit dem anschließenden Duschwasser spülen? – Ist zu 100% talentfrei möglich!

Die Vorstellung, dass 20 bis 40 Personen morgens dasselbe stille Örtchen benutzen und die Klobrille mit dem Duschwasser spülen, selbiges mit fragwürdigen Sachen vermischt dann wieder mit den Füßen in Berührung kommt, ist keine Erfahrung, die wir haben müssen. Wir verabschieden uns also und marschieren los, entlang der Hauptstraße.

Viel schwarzer Stoff mit wenig Haut kommt uns entgegen. Weibliche Augenpaare blitzen aus den rechteckigen Schlitzen hervor. Wir fragen uns, ob wir uns hier in einem muslimischen Viertel befinden… So viele Burkas haben wir noch nie auf einmal gesehen! Irgendwie sehr außergewöhnlich, denken wir. Neben Daoisten und Konfuzianisten in China, Hinduisten in Nepal und Buddhisten in Thailand, ist das hier überraschend-irritierend für uns…

Wir schauen uns noch weitere 10 Budget-Unterkünfte auf der Hauptstraße an. Allesamt in mäßigem bis abstoßendem Zustand. Auch dies ist nach Thailand in gewisser Weise verwunderlich. Dort war immer alles blitze-blank sauber und hygienisch. Die Länder grenzen aneinander und scheinen doch auf den ersten Blick sehr unterschiedlich zu sein. Sei es drum. Wir müssen eine Bleibe finden…

Wir entscheiden uns, in eine kleine Seitenstraße namens »Lorong Chulia« ab zu biegen.

Wie durch Zauberhand umgibt uns plötzlich ein charmantes Flair. Die Gebäude umher erinnern an die Kolonialzeit und alles wirkt ruhiger und gesetzter als auf der Hauptstraße. Letzteres liegt eigentlich auch in der Natur der Sache.

Wir finden in der Straße ein kleines Hostel namens »Roommates«. Es wird unser Zuhause für einen viertel Monat. Ein freundlicher Gastgeber chinesicher Herkunft fängt uns gleich ab und führt uns herum. Er zeigt uns die einfache, aber saubere Küche und ein neu renoviertes Doppelzimmer. Er bietet uns den Erstbezug an. Ein Frühstücksbuffett sei bei seinem Angebot von 6 Euro auch dabei. Ein letzter Blick in die Sanitäranlagen, die in Deutschland nicht besser hätten sein können, überzeugt. Schnell erledigen wir die Formalia und lassen uns ins Bett fallen zum Mittagsschläfchen!

Der Hunger weckt uns pünktlich für das Abendessen auf. Unser Gastgeber erklärt uns die verschiedenen Küchen, die es immer in Malaysia gäbe: Indisch, chinesisch, malaiisch. Nachdem wir ihm (war uns etwas unangenehm) sagen, dass wir genug chinesisch gegessen haben, empfiehlt er uns ein paar Straßen weiter in Little India in einem der Restaurants zu essen. Wie sich später zeigt, ist das unser Hauptort, an dem wir Hunger und Gelüste stillen.

Unser bereits lieb gewonnener Chinese weist uns abschließend darauf hin, dass Alkohol grundsätzlich sehr teuer sei in Malaysia (obgleich wir nicht vor hatten zu trinken…). Der zweite Teil seiner Erläuterung war allerdings tatsächlich hilfreich. Er fuhr fort: »…denn es sei ein muslimisches Land«.

Auf unsere verdutzten Blicke fährt er aufklärend fort, dass die meisten Muslime in Asien Leben. Wir bedanken uns, gehen los und lassen diese Aussage wirken.

Wir grinsen uns beide an. Mit vergnügter Stimme meine ich zu Simon: »Das klingt jetzt nicht nur naiv, sondern war es irgendwie auch tatsächlich, wenn ich so drüber nachdenke. Ich dachte immer, Muslime leben nur in der Türkei, bei uns in Deutschland und in arabischen Ländern… Ich habe das NIE mit Asien in Verbindung gebracht. Auf unserer bisherigen Reise habe ich davon auch nichts mitbekommen. Nun ist mir das mit den vielen Burkas auch klar. Oh Mann! Das ist verrückt…«. Simon bestätigt, dass er dasselbe dachte, was unsere Allgemeinbildung nicht gerade in ein tolles Licht stellt. Aber so war es. Diese unwissenden Zugeständnisse lösen einige Lachattacken aus, die am nächsten Tag ihre Spuren in Form von leichtem Muskelkater hinterlassen.

Doch wie ist eigentlich Little India? – Ein genialer Vorgeschmack auf Indien! Wir durchqueren Straßen voller Lautsprecher mit Bollywood-Feeling: Glitzernd-schimmernde Stoff-und Kleiderläden, Indie-Musik, lächelnde Inder mit Garküchen, Curryduft in der Luft, CD-, DVD- und Kassetten-Shops (ja, sie versuchen diese tatsächlich zu verkaufen). Etliche Goldläden neben Brautschneidereien. Wir sind mittendrin im magischen Sog Klein-Indiens.

Nicht nur einmal essen wir schließlich auch in einem der vegetarischen Restaurants namens »Thali« die besten Curries, Chapati, Puri, Naan, Chutneys, Pickles und Ghee-Nachtisch. Mit den Händen. Minimum 8 Gänge. Für 2 Euro. Dazu den leckersten Masala-Tee, kunstvoll-leidenschaftlich vom Inder hinter dem Tresen aufgegossen. Unser Taj Mahal! Wir fühlen uns zumindest königlich.

Die übrigen Tage schlendern wir einfach durch diesen Teil der Insel Penang. Landen hier in einer Galerie, da in einem Museum, dort in einem Cafe. So viel Charme steckt in den vielen kleinen bunten Gässchen. Sie wirken verschlafen, verträumt. Es tut uns gut, hier zu sein. Kein Wunder, wir lieben Kunst und Kultur. Die gesamte Stadt ist wie ein Freilicht-Museum. Doch das hatten wir zuvor ja nicht gewusst. Genauso wenig wie wir nicht wussten, dass genau in den Tagen das Georgetown Heritage Festival stattfindet. Es hat sich einfach wundervoll für uns gefügt. Wir feiern, wir entdecken Streetarts, Galerie-Cafes, Ausstellungen, Museen. Wir sind eins mit diesem Ort. Entzückt. Hin und weg. Verliebt in ihn. Verliebt ineinander. Glücklich.

Dann gibt es noch etliche Märkte mit allerlei frittierten Leckereien und Obst. Wir besuchen den Hafen, den Penang Hill mit schönem Ausblick, eine kleine Schmetterlingsfarm. Schließen Freundschaft mit Kay aus Berlin und haben gute Gespräche.

Doch vor allem ein weiteres Restaurant hatte es uns angetan: »Mickes Place« in der Love Lane (dort entdecken wir auch noch viele gute Unterkünfte im Vorbeigehen). Ein kleines, schnuckeliges Straßencafe mit einer herzlichen Bedienung, die selbst kocht und Inhaberin ist. Vollgekritzelte Wände mit Zitaten Reisender zieren dieses verzaubernde Cafe. Wir essen dort – in Asien – weit weg von bella Italia, die mit Abstand beste Pasta unseres Lebens! Die Pasta, die Gewürze, die Soße – alles verführt unsere Zunge, Backen- und Mundwinkel von innen. So schmackhaft, dass wir immer mehr wollen. Es ist schwierig uns zu Mäßigen bei diesem Genuss. »Mickes Place« ist kein Schnäppchen für dortige Verhältnisse. Oder besser gesagt für Backpacker. Wir zahlen gemeinsam 10 Euro, was für unser Reiseverständnis schon ordentlich ist. Aber das Gefühl, der Geschmack, der Ort… alles passt!

Ich mag es auch, wie sich die Köchin um uns kümmert. Sie serviert stets zur selben Zeit. Das ist nicht immer gegeben in Asien. Sie schaut zwischendurch nach uns, obwohl sie immer zu tun hat. Sie berührt mich stets an der Schulter oder Hand, in einer sehr vetrauten, freundschaftlich-mütterlichen Art und Weise. Wie in Susie und Strolch tauschen Simon und ich Gabeln mit mundgerechten Portionen, genießen das Gedicht der Speisen, strahlen mit Essens vollem Mund und gerade noch zusammengepressten Lippen um die Wette und finden dann schließlich das Zitat an der Seite von unserem kleinen Bistrot-Tisch »Collect moments, not things!«.

Einer der kitschigsten Momente – und beim Tippen dieser Zeilen wird mir das nochmals besonders bewusst – hat mein, hat unser Leben in Georgetown geschrieben. Wann immer ich entscheiden dürfte zwischen einer Luxusreise oder einem Abendessen von Micke. Ich würde immer Micke wählen!

Was wir damit sagen wollen: Es sind die kleinen Dinge beim Reisen, genau wie im Leben. Ein kleines Restaurant entdecken. Masala-Tee genießen. Sich in einem gerade entdeckten Cafe vom ersten Moment an wohlfühlen. Ein Zitat auf einer komplett vollgeschriebenen Wand für sich entdecken.

Das ist Reise-, das ist Lebensglück!

Schreibe einen Kommentar